Das Gift im Essen
Es erzählte mir ein Arbeitskollege, sein Sohn habe sich beklagt, bei ihnen gebe es «immer nume grusigs z‘ässe». Ich musste schmunzeln, legte der Bub mit der doppelten Verstärkung «immer nur» doch eine beachtliche Überzeugung an den Tag. Mein Kollege blieb hingegen nachdenklich, denn der Junge wolle sein Bett mit einem Gabelstapler in den oberen Stock des Nachbarhauses hieven lassen, da es in seiner Vorstellung dort immer Pasta und Pizza gab.
Die Sorge des Vaters war verständlich, war mit dem Mittagstisch doch das familiäre Zentrum in Frage gestellt und durch die Konkurrenz eines fremden Kochs eine schleichende Entfremdung zumindest möglich. Für Eltern im Bestreben, ausgewogene und gesunde Kost zu bieten, muss das eine bittere Erfahrung sein. Dann erinnerte ich mich an meine eigenen Fantasien, wenn ich als Kind im Essen stocherte, um es zu untersuchen. Die harmlosere Vorstellung war, dass jemand rein gespuckt hatte. Aber auch Würmer oder grünen Schleim glaubte ich zu erkennen. Und es gab Momente, da war ich überzeugt, beim ersten Bissen tot umzufallen.
Nun ist so, dass sich auch Erwachsene bisweilen durchaus ähnlich äussern. Die «Kenner», denen die Pizza zu dünn, das Cordon Bleu zu klein, das Gemüse zu hart und der Fisch zu roh war, melden sich auf Social Media bisweilen ähnlich vehement wie der kleine Bub. Nur ist es dem Erwachsenen vorbehalten, in seiner Unzufriedenheit entsprechend seinen Wünschen zu handeln. Schmeckte ihm das Essen nicht, wechselt er die Feriendestination. Wie oft jemand, der enet dem eigenen Tellerrand kostete, letztlich statt eines Gabelstaplers den Scheidungsanwalt bestellte, dafür gibt es keine Statistik. Dabei ist es in einer Beziehung nicht viel anders als in den Ferien. Fühlt man sich fremd und allein, schmeckt auch die Suppe nicht mehr.
Irgendwann habe ich mich dem Grundsatz verpflichtet, es sei mir unmöglich, in einer Region dieser Welt wirklich «schlecht» zu essen. Denn jede Kultur, so meine Hypothese, ist bestrebt, der Familie und dem Gast das Beste zu bieten. Selbst dann, wenn Mangel herrscht. Schmackhaft zu essen ist ein Grundbedürfnis, und für schmackhafte Gerichte reichen einfachste Zutaten. Seither wurde ich nirgends, wo es mir auch sonst behagt, enttäuscht. Und wenn ich – das gestehe ich mir durchaus zu – einmal etwas doch nicht so mag, nähre ich mich etwas mehr von der Gesellschaft, die mich umgibt. Denn diese trägt geschmacklich bei.
Und doch kommt es hin und wider vor, dass ich es wieder spüre, dieses Gefühl des Unbehagens. Dann steht vielleicht ein Teller vor mir, farblich ausgewogen und einigermassen arrangiert. Trotzdem stimmt was nicht. Meinem Grundsatz verpflichtet, versuche ich dann zuerst meinem eigenen Empfinden gegenüber kritisch zu bleiben. Denn bei fehlender Neugierde fremden Kochkünsten gegenüber wär es nicht das Essen ist, das fade ist. Und wenn mich bereits eine Unzufriedenheit erfüllt, liesse diese die schönsten Farben erblassen.
Erst wenn ich merke, dass sich bei der Zubereitung Kalkül oder Geiz einschlich, wird das Essen tatsächlich bleich. Wenn Herzlosigkeit oder Grobheit die Kelle schwingt, schmeckt es bitter. Gleichgültigkeit oder Ignoranz des Kochs ist die eigentliche Spucke in der Schüssel. Und wenn man einem Gericht die Seele stiehlt, ist es vergiftet.
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